Unvernunft tut gut: Warum wir im Alter noch was riskieren müssen

Im Ruhestand die Beine hochlegen und mal halblang machen – das klingt vernünftig. Und etwas langweilig. Dürfen ältere Menschen nicht auch noch ein bisschen verrückt sein?

Hamburg/Siegen (dpa/tmn) – Es war dieser eine Moment im Schlafzimmer. Greta Silver war plötzlich ganz und gar erschüttert.

Jahrelang war sie Hausfrau gewesen und hatte sich mit Herzenslust um die Kinder gekümmert. Nun stand sie vor den Betten, die gemacht werden wollten, und fragte sich: Läuft hier nicht etwas schief? Klar wäre es am gemütlichsten gewesen, die Füße hochzulegen und dem Ruhestand entgegen zu träumen. Doch Greta Silver entschied sich anders.

<em>Volle Fahrt voraus Senioren dürfen und sollten im Alter ruhig noch Gas geben Foto Uwe UmstätterWestend61dpa tmn<em>

Heute hat die 71-Jährige einen Youtube-Kanal, ist Model und Autorin des Buches «Alt genug, um mich jung zu fühlen», und sie sagt: «Das Älterwerden empfinde ich als Start-up-Unternehmen. Jetzt kann ich neue Dinge ausprobieren, für die ich vorher keine Zeit hatte. Ich möchte doch nicht mit 100 Jahren denken müssen: Ich habe etwas verpasst.»

Der Ruhestand als Gelegenheit

So sieht es auch Gerhard Sprakties, Altenseelsorger und Autor des Buchs «Happy-Aging statt Anti-Aging». Er findet es wichtig, sich schon in jüngeren Jahren mit dem Älterwerden zu beschäftigen: «Sonst fällt man im Ruhestand in ein existenzielles Vakuum und weiß plötzlich nichts anzufangen mit all der Zeit. Dabei ist es die Gelegenheit, noch einmal Grenzen auszutesten.»

Aber sollte man im Alter nicht lieber einen Gang zurückschalten und vorsichtiger durchs Leben gehen? «Nein, das muss man nicht, solange es die körperliche Fitness zulässt», sagt Prof. Simon Forstmeier, Leiter des Lehrstuhls Klinische Psychologie der Lebensspanne an der Universität Siegen. Studien zeigten, dass Menschen zwischen 60 und 80 Jahren nicht unbedingt weniger wagemutig seien. Was sich oft ändert, seien die Bedürfnisse: «Ältere Menschen wollen ihre Zeit sinnvoller nutzen.»

Mit großen Träumen klein anfangen

Aber geht das so einfach? Wie findet man den Sinn im Alter? «Indem man mutig bleibt und im richtigen Moment zupackt», sagt Greta Silver. «Ich kenne so viele ältere Menschen, die Träume haben und nicht wissen, wie sie sie erfüllen können.» Ihr Tipp: ganz klein anfangen.

«Ich habe Bekannte, die hätten gerne in ihrem Leben ein Café eröffnet», erzählt Silver. «Natürlich ist das ein großes Projekt, das nicht einfach umzusetzen ist.» Aber man könne sich annähern und beispielsweise anfangen, für Familienfeiern im Bekanntenkreis Kuchen zu backen und daraus vielleicht ein kleines Geschäft zu entwickeln.

Auch Greta Silver begann so: Die Hamburgerin entdeckte ihre Liebe zum Gestalten und übernahm ohne Erfahrung die Inneneinrichtung von Ferienhäusern und Hotels. Später startete sie ihren Youtube-Kanal, auf dem sie Tipps für mehr Lebensfreude im Alter gibt.

Rebellion muss manchmal sein

Doch was, wenn das Umfeld alles ganz anders sieht? Wenn zum Beispiel die Kinder zu mehr Ruhe mahnen? «Dann sollte man dagegen rebellieren, wenn man diese Art von Hilfe noch nicht möchte», sagt Greta Silver. Natürlich sei es ein Geschenk, wenn Mitmenschen sich kümmern – aber eben bitte nicht zu früh.

Auch Gerhard Sprakties findet es problematisch, wenn Jüngere ihre Hilfe aufdrängen: «Wir haben so viele Stereotypen vom Alter im Kopf. Viele stellen sich traurige, kranke Menschen vor, die nicht mehr an der Gesellschaft teilnehmen wollen oder können.» Genau diese Bilder hätten eine starke Wirkkraft auf alte Menschen: «Sie bekommen das Gefühl, es sei tatsächlich so und richten sich in ihrer Rolle ein.»

Dabei sollte man nie vergessen, dass die Lebenszeit zwischen 60 und 90 Jahren genauso lang ist wie die zwischen 30 und 60, sagt Greta Silver. «Was wäre es für eine Verschwendung, sie nicht zu nutzen?»

Literatur:
– Greta Silver: Alt genug, um mich jung zu fühlen. Rowohl Taschenbuch   2019, 224 Seiten, 16 Euro. ISBN: 978-3499001178 – Gerhard Sprakties: Happy-Aging statt Anti-Aging: Glücklich und   sinnerfüllt alt werden. Springer 2019, 179 Seiten, 17,99 Euro.   ISBN: 978-3662594131

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Tipp des Monats

Osteoporose vorbeugen: Bewegung macht die Knochen stabiler

Damit die Knochen stark bleiben, braucht es nicht nur eine Ernährung, in der ordentlich Calcium steckt. Warum auch Bewegung so wichtig ist.

Knochen müssen regelmäßig belastet werden, um stabil zu bleiben und weniger schnell zu brechen. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) hin. Belastung für die Knochen heißt: Bewegung.

Ob Fußballtraining, Joggen, Pilates oder Radfahren: Vor allem dann, wenn es sportlich wird, regt Bewegung den Knochenstoffwechsel an.

„Dies geschieht durch die Muskeln, die am Knochen ziehen. Sie geben das Signal, mehr Calcium in das Skelettsystem zu transportieren und einzulagern“, so Prof. Uwe Maus von der DGOU. Dadurch gewinnen die Knochen an Stabilität – und auch Osteoporose wird vorgebeugt.

Auch die Ernährung zahlt auf die Knochenstärke ein

Besonders wichtig ist Sport übrigens für Kinder und Jugendliche. Denn bei ihnen baut sich die Knochenmasse noch auf.

Ganz ohne die Ernährung geht es aber nicht. Wichtig ist daher, reichlich Calcium zu sich zu nehmen – etwa durch Lebensmittel wie Milch, Hartkäse, Mineralwasser oder Spinat. Damit der Körper das gut verwerten kann, braucht es Vitamin D. Das bildet der Körper mithilfe von Sonnenlicht, es steckt aber auch in fettem Seefisch wie Hering oder Lachs.