Biografisches Schreiben:
Es ist viel Arbeit, kann beglücken und betrüben: Doch wer seine Erinnerungen aufschreibt, macht nicht nur seiner Familie ein schönes Geschenk, sondern gewinnt auch manch’ wertvolle Erkenntnis.
„,Lebensjahre’ sind die gebundenen Seiten überschrieben, die meine Eltern mir und meinen Geschwistern zum 80. Geburtstag meines Vaters überreicht haben. Schon als Kind habe ich viele der Geschichten immer wieder gerne gehört. Nun kann ich darin stöbern, sie meinen Kindern und vielleicht irgendwann sogar den eigenen Enkeln vorlesen.“
Ein schönes Geschenk!
„Die Geschichte der Eltern ist wichtig, um die eigene Geschichte zu verstehen“, glaubt meine Mutter. Meine Eltern haben ihre Geschichte vor allem für die Kinder und Enkel aufgeschrieben. Etwa ein Jahr lang haben sie sich Zeit genommen und letztlich selbst davon profitiert, wie sie erzählen.
„Es war ein Bewusstwerden dessen, was ich durchlebt habe“, sagt mein Vater. Und auch das Leben seiner Frau habe er noch mal tiefer verstanden. „Das war ganz wertvoll für mich.“
Den roten Faden des Lebens finden
Sein Leben niederzuschreiben kann therapeutische Wirkung haben, sagt Reinhard Lindner, Professor für Soziale Therapie an der Universität Kassel. Als Psychotherapeut und Psychiater arbeitet er vor allem mit Senioren. „Es ist eine Möglichkeit, noch mal im eigenen Leben aufzuräumen oder einen roten Faden zu finden. Oder wenn man ihn gefunden hat, ihn noch mal sehr deutlich darzustellen“, sagt er.
Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen sei im Grunde gut. „Man bekommt eine klarere Perspektive auf sich selbst. Aber wenn während dieses Prozesses Erinnerungen sozusagen aus dem Keller hochkommen und man sehr darunter leidet, dann sollte man sich Hilfe holen“, rät Lindner. Gespräche holen auch aus der möglichen Einsamkeit des biografischen Schreibens heraus.
Am Anfang steht die Materialsammlung
Hilfreich ist darüber hinaus die ganz praktische Anleitung. Hanne Landbeck bietet in ihrem „schreibwerk berlin“ Kurse an. Sie nennt es „Das autobiografische Experiment“. Vor allem Frauen kommen zu ihr, zwischen vierzig und achtzig Jahre sind sie alt.
Sie empfiehlt zu Beginn Stichpunkte zu Ereignissen, die einen noch beschäftigen. Dazu trägt man so viel Material wie möglich zusammen – das können Fotos, Briefe und alles andere sein. Vor allem sinnliche Eindrücke sind ihr wichtig: „Wie hat es damals gerochen, wie war die Stimme des Mannes, in den ich mich verliebt habe, wie sah der Raum aus, in dem wir saßen?“, zählt sie auf. In ihrem Kurs rät die Medien- und Literaturwissenschaftlerin den Teilnehmern erstmal, über sich in der dritten Person statt in der Ich-Form zu schreiben. „Später kann man das ändern, aber um die Distanz zu sich selbst und möglicherweise dem eigenen Leid zu erhalten, sind Mittel der Distanzierung gut“, sagt sie.
Um sich nicht zu verlieren beim Aufschreiben der Erinnerungen, ist Struktur wichtig: „Man kann thematisch oder örtlich gliedern, oder sogar anhand von Zeiten mit bestimmten Lebenspartnern.“ Ziel in ihren Kursen ist ein Manuskript von ungefähr 60 bis 80 Seiten, voll mit Lebenserinnerungen. Ihre Erfahrung ist aber: „Die wenigsten stellen es ganz fertig.“
Sich selbst und andere besser verstehen
Dennoch sei es für viele unter dem Strich eine beglückende Erfahrung. „Sie verstehen sich selbst, die Eltern oder die Partner im Nachhinein besser“, sagt die Schreibtrainerin. „Man bekommt einen weiteren und auch milderen Blick sich selbst und den anderen gegenüber.“ Wer sich schwertut, seine Erinnerungen selbst und direkt aufs Papier zu bringen, kann mit dem Erzählen beginnen. „Man kann in den Computer oder ins Handy diktieren“, schlägt Landbeck vor. Oder man erzählt es einem Freund und nimmt dieses Gespräch auf.
Profi-Biografen als mögliche Alternative
Auch professionelle Schreiber bieten für Biografien ihre Dienste an. Das kann eine Lösung für alte Menschen sein, die zum Beispiel ihren Kindern gerne etwas aus ihrem Leben weitergeben möchten, denen aber selbst die Energie dazu fehlt.
In welcher Form auch immer man am Ende seine Lebenserinnerungen zu Papier bringt, laut Reinhard Lindner ist klar: „Was wirklich war, ist immer schwer zu packen zu kriegen. Im Laufe des Lebens unterliegt das gewissen Umschreibungen. Eine Biografie ist nicht die Erzählung dessen, was hundertprozentig genauso war.“ Das senke womöglich den eigenen Anspruch auf ein realistisches Maß, sagt der Therapeut. „Es kann entlastend wirken, wenn man das von vornherein weiß.“ dpa/tmn